Steigende Arbeitsbelastung, ein sich abzeichnender Lehrermangel, politisches Gerangel um Schulformen und über allem die Frage, ob das Berufsbild „Lehrer/-in“ gerade in den sogenannten Mangelfächern noch interessant für Studentinnen und Studenten ist. Noch sei das Kind nicht in den Brunnen gefallen, doch wenn jetzt nicht die entscheidenden Weichen gestellt würden, drohe Ungemach, befürchtet Sabine Mistler, Landesvorsitzende des Philologenverbandes NRW. „Es besteht dringender Handlungsbedarf, damit wir perspektivisch gesehen in der Wissenschaft und in der Wirtschaft wieder der Standort werden, der wir einmal waren.“ Auf Einladung des Philologenverbandes Bezirk Düren sprach Sabine Mistler über besondere Belastungen und Herausforderungen von S-II-Lehrkräften (Gymnasien und Gesamtschulen).
„An den Grundschulen haben wir eine viel größere Mangelsituation als an den weiterführenden Schulen“, erklärte sie sich, warum das Thema Sekundarstufe II nicht im Fokus der Politiker und Entscheider läge. Es gäbe beispielsweise Standorte in NRW, an denen bis zu 60 Prozent der Kinder in der erste Klasse kaum ein Wort Deutsch können, obwohl sie in Deutschland geboren seien. „Das kann niemals aufgeholt werden“, regte Sabine Mistler eine „vorschulische“ Lösung an: „In anderen Bundesländern ist es ein Jahr Vorschule mit Sprachprüfung verpflichtend. Die Beherrschung der Sprache ist eine essenzielle Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Unterricht.“ Sie wolle den Lehrkräftemangel an Grundschulen nicht kleinreden, im Gegenteil. Sabine Mistler: „Die Situation an den Grundschulen ist allen sehr wichtig. Eine Lösung ist auch unglaublich wichtig für uns, denn wenn Kinder aus der Grundschule zu uns kommen, die die Basiskompetenzen wie die Lesen, Schreiben und Rechnen nicht beherrschen und die deutsche Sprache nicht angemessen beherrschen, haben wir es umso schwerer.“ Die Kernaufgabe der Gymnasien sei es, Kinder zum Abitur zu führen und auf ein Studium vorzubereiten. Auch der Übergang von der Schule auf die Universität gestalte sich zunehmend problematisch.
Eine Lösung auf Dauer könnten die aktuellen „Zwangsabordnungen“ von Gymnasiallehrkräften an Grundschulen nicht sein. Auch wenn es (auf dem Papier) bis zum vollständigen G9-Ausbau einen „Überhang“ an Lehrkräften an Gymnasien gebe, entspreche diese Rechnung nicht dem tatsächlichen Bedarf. Sabine Mistler: „Wir haben sehr oft leere Lehrerzimmer und sehr viel Vertretungsunterricht. Das sollte die Politik schon in den Fokus nehmen.“ Hinzu kämen zudem immer mehr fachfremde und eher unterrichtsferne Aufgaben. Auch Diskussionen über die Streichung der Möglichkeit zur sogenannten voraussetzungslosen Teilzeit (wenn keine Kinder oder zu pflegende Angehörige vorliegen) seien kaum zielführend, um den Beruf attraktiver zu machen. Nach wie vor herrsche Ebbe an Nachwuchs in den MINT-Fächern, vor allem in Informatik und Physik.
Die Landesvorsitzende warnte davor, das Referendariat zu verkürzen und bereits Studentinnen und Studentin im 1. Semester des Lehramtsstudiums an den Schulen einzusetzen. Die Lehrkräfte seien dann schneller fertig, doch bereits heute müsse in der universitären Ausbildung „mehr die Fachlichkeit ins Zentrum“ gestellt werden, gab Sabine Mistler zu bedenken, dass nicht immer die fachliche Qualität der angehenden Lehrerinnen und Lehrer den Ansprüchen an den Unterricht entspreche. Es bestehe die Gefahr, dass eine Verkürzung des Vorbereitungsdienstes Anreize schaffe, „um mit einem kürzeren und vermeintlich leichteren Weg ins System zu kommen“. Die nächste Großbaustelle, die am besten bundesweit gelöst werden müsse: Arbeitszeiterfassung. Wie werden Klausurkorrekturen gemessen? Schwierigere Klassen mit mehr Elterngesprächen? „Wir können wie Juristen oder Journalisten auch nicht mit einer Stechuhr arbeiten“, fordert Sabine Mistler den Bundesarbeitsminister auf, ein einheitliches Modell vorzuschlagen, das den Beruf wertschätze und die schulformspezifischen Besonderheiten anerkenne.
„Teilzeit ist Notwehr“, brach Thomas Floßdorf als Vorsitzender des Bezirks Düren eine Lanze für Lehrerinnen und Lehrer. „Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um der Arbeit überhaupt noch mit einer gewissen Qualität Herr zu werden“, sagte er. Der Verband plane im Oktober eine eigene Veranstaltung zum Thema Arbeitszeiterfassung. Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen appellierte er an alle Kolleginnen und Kollegen, sich „für eine starke Vertretung stark zu machen“. Der Organisationsgrad der Lehrerschaft könnte deutlich besser sein. „Wenn wir uns nicht stärker organisieren und gegenüber der Politik positionieren können uns ganz grausame Dinge blühen. Wir müssen aufpassen, dass man mit uns nicht weiter Schlitten fährt und die Belastungsgrenze immer weiter nach oben gerückt wird“, sagte er. „Die Leidenschaft zu den Fächern und zum Beruf macht gute Lehrerinnen und Lehrer aus. Dafür stehen wir als Verband, dafür kämpfen wir als Verband“, unterstrich Sabine Mistler.